Medientagebuch von Claude Longchamp, MAZ-Dozent, Verwaltungsratspräsident und Institutsleiter gfs.bern, Lehrbeauftragter an den Universitäten St. Gallen, Zürich und Bern

Claude Longchamp

Es ist nicht ganz klar, wann mein Medienalltag beginnt resp. wann er aufhört. Denn Medien wirken nach, bis in die Träume und die Empfindungen der Nacht wecken Bedürfnisse nach Medien. Doch das ist wohl eher für ein Institut für Psychoanalyse von Belang, als für das MAZ.

Wenn ich morgens das Haus verlasse, ist mein erstes „Aemtli“ die Zeitungen aus dem Briefkasten zu holen. Wenn ich mich im Postauto mit niemandem unterhalte, lese ich Zeitung. Früh am morgen dominiert Lokales. Momentan ziehe ich den Bund vor, weil übersichtlich gegliedert. Dann kommt die BernerZeitung dran, lange meine Nummer 1, seit dem letzten Relaunch aber extrem unübersichtlich. Die grossen Bilder kommen meinen morgendlichen Bedürfnisses durchaus entgegen; den Aufbau der Seite verstehe ich aber selber nach Woche der Umstellung nicht wirklich.

Wenn ich im Postauto nicht lese, schwirren die Plakatwände in rascher Folge an mir vorbei. Bewusst erheischen kann ich nicht viel, unbewusst nehme ich wohl einiges mit. Im Moment vor allem Politisches. Und Stiefel. Männerstiefel. In der Stadt trinke ich, wenn immer möglich, noch etwas, bevor ich zu arbeiten beginne. Momentan ziehe ich die Piazza-Bar am Berner Hirschengraben vor. Auf dem Weg dahin hat es den Quartier-Kiosk. Da schaue ich mir die Aushänge an, und decke mich mit dem ein, was mich interessiert. Gegenwärtig sind das immer weniger Tageszeitungen, denn die versprechen so oft mehr als sie halten können. Seit den Sommerferien setze ich mich wieder häufiger mit deutschen und internationalen Magazinen auseinander. Der Spiegel. Die Zeit. Das kaufe ich wöchentlich. Dazwischen dominieren Geschichtsmagazine. Im Büro gibt’s die letzte Dosis Frühstückmedien: die mails, die Kommentare zu meinen Blogs von gestern, newsnetz, nzz online und le temps.

Von hier weg gibt es keine Medienrituale mehr. Alles hängt davon ab, ob ich einen Bürotag habe, ob ich auswärts bin, ob ich schreibe, ob ich lese. Lesen muss ich vor allem Berichte meiner ForschungskollegInnen. Gelegentlich braucht es da Sicherheitschecks. Da sind Bücher, vor allem Lexika und Handbücher gefragt, wenn es um meine Kerngebiete geht. Handelt es sich um Randbereiche meines Expertenwissens, ziehe ich wikipedia vor. Ich schreibe selber Artikel, weshalb ich anderen auch vertraue. Ich ziehe die englischen Beiträge den deutschen häufig vor. Wenn ich schreibe, bin ich mit Sekundärquellen zurückhaltender, denn als Forscher beschreibt man vor allem seine eigenen Untersuchungsergebnisse. Grafiken, Tabellen, bisweilen auch ganz frische Computeranalysen. In Pausen informiere ich mich gerne kurz über das aktuelle Geschehen. Ich habe eine kleine Leseliste, die ich, wenn ich Zeit habe, ein- bis dreimal pro Tag durchgehe, um mich über Neuigkeiten zu informieren. Parallel dazu mache ich auch mails; häufig hat’s da Suchlinks darunter, was man sich ansehen soll.

Der Mittag ist medienfrei, rede ich mir gerne ein. Doch das stimmt bei weitem nicht. Bei tollem Licht und speziellen Momenten fotografiere ich gerne, und kontrolliere ich die Bilder. Behalten, nicht behalten, behalten, lautet das schnelle Urteil. Die Gründe sind nicht immer klar. Ausser ich hatte den Finger vor der Linse. Denn die Silhouetten der Stadt, in der ich gerade bin, sind deutlich interessanter. Die Stadtwanderung am Mittag ist auch ohne das nie medienfrei. Im Urbanen ist die Kommunikation so intensiv, dass man sich ihr nicht wirklich verweigern kann. Ueber allem steht die Werbung. Es folgen die autoritativen Hinweis- und Verbotsschilder. Und das Kleingedruckte der Subkulturen an Wänden, Ampelmasten und in Türrahmen. Je zentraler man ist, desto dichter ist das mediatisierte Gewusel der Stadtmitteilungen. Selbst der Boden ist nicht mehr frei davon. Und auf Fussgängerstreifen hat es nicht nur Menschen, es finden auch die Scharmützel der Guerilla-Marketer statt. Nach dem Mittag ziehe ich mir gerne etwas Weiches rein. Ein Video. Eine Tour auf Flickr. Oder meine Fotos von eben. Das muss meine emotionale Befindlichkeit ansprechen, denn schnell schon schalte ich wieder auf den Kognitionsmodus.

Der Medienkonsum am Nachmittag ist ähnlich wie der am Morgen von meinem Programmabhängig. Einen Unterschied gibt es aber: Wenn der Tageskram gemacht ist, arbeite ich gerne an Vorträgen und Vorlesungen. Die sind bei mit ein Mix aus dem Reich der Texte und der Bilder. Ich lasse mir meine Powerpoints auch gerne als Diashow vorführen. So stimme ich mich in Themen, vor allem in Themen ein, dich ich noch zu wenig gut kenne.

Am Vorabend kann man sich den Gratiszeitungen kaum mehr entziehen. Sie liegen an jeder Ecke rum. Sie unterliegen dem Campari-Soda, wenn es heisst, vom Arbeitstag Abschied zu nehmen. Und im Postauto ist es die zentrale Lektüre. Ausser für die iphonistInnen. Zu denen zähle ich indessen nicht. Ich habe ein sehr einfaches Handy. Weil ich ein sehr einfach begabter Mensch in Sachen Technik bin. Das nutze ich nicht mehr als nötig. Die Dinger, die meinen Sitznachbarn zappeln lassen, wenn sie vibrieren oder läuten, gehen mir, ganz ehrlich gesagt, auf den Wecker.

Das Abendessen ist die eigentlich medienfreie Phase in meinem Alltag. Da tausche ich mich lieber aus. Mit meiner Partnerin, mit Kollegen, oder mit Gästen. Wehe, wer mich dann am Telefon erreichen will, um mir was zu verkaufen! Akzeptiert ist hier maximal leichte Musik. Klassisches, wenn ich mich beruhigen muss, Fetziges, wenn noch Energie habe.

Der Abend gehört mir, dem Bloggen, selten auch dem Fernsehen. Wenn ich etwas wirklich sehen will, lege ich mich gerne hin, geniesse Landschaften, Tiere oder Krimis. „Schnell ermittelt“ auf ORF ist mein Favorit. Der Rest ist Pflichtstoff, den man sich heute auch problemlos als Clip ansehen kann. Bloggend verlasse ich den Tag Wort für Wort, bisweilen Bild für Bild. Es kann auch sein, dass ich ein wenig recherchiere, hängen bleibe, wo ich nicht wollte, meine Neugier mich aber hinführt. Nicht selten endet diese Wanderung vor dem Büchergestell, den Buchneuerwerbungen des letzten Wochenendes, dem zugestellten unbekannten Magazin, das ich mir einmal ansehen soll.

Wie gesagt, einen Teil meines Medienkonsums verarbeite ich des Nachts, wo auch der Wunsch entsteht, Neues kennen zu lernen, auch wenn man fast immer am gleichen Ort lebt. So ist das halt – mit den Medien.

Claude Longchamp,
Verwaltungsratspräsident und Institutsleiter gfs.bern Lehrbeauftragter an den Universitäten St. Gallen, Zürich und Bern

 

 

 

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