Medientagebuch von Tinu Heiniger, Liedermacher, Buchautor

Tinu HeinigerIch bin ein Nachtmensch und stehe erst am Vormittag auf. Zum späten Zmorge gehört, seit meinen Zürcher Jahren, der Tagi. Zuerst, ganz hinten, der Sport: Steht etwas über meinen SC Langnau? Etwas über Federer? Über den FCZ? Oder ist schon wieder einer meiner damaligen Fussballstars gestorben? Der Fatton? Der Ballamann? Der Bickel? Dann Politik, beides, Innen- und Aussen, mehr quer als vertieft. Dann die Unfälle- und Verbrechenseite 12. Dort steht oft klein, was gestern im Blick riesengross gekommen ist. Dann Leserbriefe: Da hat es immer wieder Leute darunter, die schreiben so gescheit, so wohltuend, so differenziert. Und dann die Kulturseite: Wenn die Simone Meier etwas geschrieben hat, lese ich das immer. Mit Vergnügen. Auch den Christoph Schneider oder den Florian Keller. Richtig gute Journalisten sind eher selten, aber das gilt ja auch für andere Jobs.

Wenn ich mit dem Zug unterwegs bin, dann lese ich, was da bereits seit Stunden die Wagen und die Köpfe der Pendler füllt: Die „20 Minuten“. Und beim Heimfahren noch dümmer: den „Blick am Abend“! Ich will das alles auch lesen, was die Menschen hier lesen. Und sei es nur, um dabei zu denken: Wie blöd muss man eigentlich sein, das alles wissen zu wollen, was sich dort in diesen Wegwerfblättern an Mist auftürmt? Ich will eigentlich gar nicht wissen, ob die Jordi den Rominger wegen dem Ast. Oder ob der Gölä mit dem Helikopter und der Eicher mit dem Kutti. Und ob der Hofer jetzt schon wieder seinen wievielten Abschied. Ich will das alles nicht wissen, und doch um Gottes Willen ja nicht etwas verpassen. Jedenfalls, wenn ich Zug fahre, dann lese ich das alles, dann schlürfe und stopfe ich das alles in mich hinein. Und das ist dann fast so, wie wenn es mein Nachbar im gleichen Abteil gegenüber am Handy so laut mit seiner Sekretärin treibt, dass auch ich bei diesem Geschäft dabei sein muss, ob ich will oder nicht.

Ich kann diese Blätter, wo die armen Schurnis nur noch dazu da sind, Agenturnachrichten zusammen zu kürzen und hier und dort etwas abzuschreiben, nur vermeiden, wenn ich zu Hause bleibe. Und dort am Abend, im Echo der Zeit, und gelegentlich im 10 vor 10, höre und schaue ich mir an, was mich eigentlich, vielleicht, gelegentlich, wirklich etwas angehen könnte.

Tinu Heiniger, Liedermacher, Buchautor / http://www.tinu-heiniger.ch/

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